“Schmerzen die außerhalb der Vorstellungskraft liegen”: Stefan Kohlwegs ungeschönte Reise in die Welt des Cluster-Kopfschmerzes
Im Juni 2025, während des Migraine and Headache International Patient Advocacy Summit (MHIPAS) in Brüssel, hielt Stefan Kohlweg im Rahmen eines Advocacy Meetings einen Vortrag, der unter die Haut ging. Mit radikaler Ehrlichkeit sprach er über seine persönliche Geschichte mit Cluster-Kopfschmerz und lüftete den Schleier des Schweigens, der diese brutale Erkrankung oft umgibt. Seine Reise vom isolierten Leid zur Gründung eines österreichischen Vereins ist ein kraftvolles Zeugnis für die Macht der Gemeinschaft und der Sinnbildung.
Der Vortrag in voller Länge
Auf einen Blick: Die Kernbotschaften
- Unbeschreiblicher Schmerz: Eine Skala von 1-10 versagt. Die Realität ist eine Grenzerfahrung, die zu extremen Gedanken und Handlungen führen kann.
- Mehr als nur Schmerz: Cluster-Kopfschmerz ist eine traumatische Erfahrung, die das Vertrauen in den eigenen Körper und Geist erschüttert.
- Die Macht der Gemeinschaft: Der Austausch mit anderen Betroffenen ist ein entscheidender Schritt, um Isolation zu durchbrechen und Hoffnung zu finden.
- Vom Leid zur Mission: Persönliches Leid kann in einen Sinn und eine Aufgabe umgewandelt werden, um anderen zu helfen.
Eine ehrliche Antwort: Die Hölle von Cluster-Kopfschmerz
Auf die Frage, wie sich der Schmerz anfühlt, gibt es keine einfache Antwort. Die Wahrheit ist unbequem und schwer zu fassen. Anstatt es selbst zu beschreiben, teilt Stefan Kohlweg Geschichten aus den Patient Journeys anderer Betroffener – Geschichten, die das Versagen jeder Schmerzskala verdeutlichen:
Beispiele aus der Realität
- Der Mann, der erschossen werden wollte: Ein erwachsener Mann, der seine Frau nach 12 Stunden ununterbrochener Attacken anflehte, ihn zu erschießen.
- Die Mutter, die ihr Kind schreien hört: Eine Mutter, die hilflos zuhören muss, wie ihr Kind die ganze Nacht vor Schmerzen schreit.
- Die Frau, die ihren Kopf gegen die Wand schlägt: Eine Patientin, die so lange ihren Kopf gegen eine Wand schlug, bis sie mit einer offenen Wunde ins Krankenhaus musste – begleitet von ihrem Ehemann.
Warum “Suicide Headache”?
Diese Beispiele sind keine Übertreibungen. Sie sind der Grund, warum Cluster-Kopfschmerz den Beinamen “Suicide Headache” trägt. Der Schmerz ist so intensiv und ausweglos, dass er Betroffene an die äußersten Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit treibt.
Mehr als Schmerz: Die soziale und psychologische Dimension
Die Schmerzskala ist unzureichend, weil sie die psychologische Komponente ignoriert. Viele Betroffene externalisieren den Schmerz – sie beschreiben ihn als einen “Dämon” oder ein “Biest”, einen externen Angreifer, der von ihnen Besitz ergreift. Diese wiederkehrende, von außen kommende Gewalterfahrung ist per Definition traumatisch.
Darüber hinaus findet das Leiden nie in einem Vakuum statt. Stefan Kohlweg betont:
“Patienten sind niemals isoliert. Es gibt immer einen Patienten und es gibt immer einen Angehörigen.”
Die Krankheit betrifft das gesamte soziale System – Familie, Freunde und Partner, die oft hilflos zusehen müssen.
Stefan teilt seinen persönlichsten und dunkelsten Moment. Während einer besonders schweren Episode, die wochenlang andauerte, erlebte er eine Nacht, in der die Attacken nicht mehr aufhörten. Der Schmerz war so überwältigend, dass er das Vertrauen in sich selbst verlor. Er fürchtete, die Kontrolle zu verlieren und aus dem Fenster zu springen.
Seine Lösung in dieser Nacht war drastisch: Er fesselte sich mit Handschellen an den Heizkörper.
Diese Handlung symbolisiert die absolute Verzweiflung und den Kampf um das eigene Überleben. Am nächsten Morgen, als seine Freundin ihn befreite und die Sonne aufging, erlebte er einen emotionalen Zusammenbruch. Dieser Moment wurde zum Katalysator für eine grundlegende Veränderung.
Vom Leid zur Mission: Die Gründung der Selbsthilfegruppe
Inspiriert von den Lehren Viktor Frankls (“Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie”), entschied Stefan, seinem Leiden einen Sinn zu geben. Er gründete den Clusterkopfschmerzen Verein Österreich, um eine Lücke zu schließen, die er selbst schmerzlich erfahren hatte: den Mangel an Austausch und Gemeinschaft.
Ziele der Selbsthilfegruppe
- Unterstützung für Betroffene & Angehörige: Einen sicheren Raum schaffen, in dem sich Patienten und ihre Familien austauschen können.
- Aufklärung & Bewusstsein schaffen: Die Öffentlichkeit und das medizinische Personal über die Realität von Cluster-Kopfschmerz aufklären, um Fehldiagnosen zu reduzieren.
- Psychosoziale Beratung: Werkzeuge zum Meistern der sozialen Herausforderungen, angeboten über die spezialisierte Plattform Clusterberatung.at.